Studentenalltag

Generation P wie Pussy

Generation P wie Pussy, in der das Social Me zwischen Benching und Ghosting steht. Gezeigt werden zwei Mädchen die mit Ihren Händen zusammen ein Herz formen
Geschrieben von Rosa

Als ich mich heute morgen in der Bahn flüchtig durch die Neuigkeiten bei Facebook scrollte, traute ich meinen Augen nicht. Die Zeit schreibt jetzt über Themen wie „Ghosting“ und „Benching“. Selbst der Shit ist jetzt Mainstream geworden? Wenn die Zeit darüber einen Artikel bringt und dafür ein Foto verwendet, auf dem ein Mädchen (wieso musste es eine Frau sein, liebe Zeit?) sich verzweifelt an den Kopf fasst, dann musste es so weit sein.

P wie Pussy

Na, herzlichen Glückwunsch! Ich fasste mir wie das Mädchen auf dem Foto verzweifelt an die Stirn. Wir sind eine Generation von Pussys geworden, dachte ich.

Am selben Tag auf dem Weg nach Hause: An der Bahn sehe ich einen Typen, den ich vor einiger Zeit gedatet habe. Btw danke, Karma! Er wollte eine Beziehung, ich nicht. Er ignorierte mein Nein (was zugegebenermaßen vielleicht auch nicht sehr ausdrucksstark war), also habe ich ihn kurzerhand aus meinem virtuellen Leben und aus meinem echten, so dachte ich, verbannt – ihn bei Facebook, Insta und Whatsapp blockiert. Ruhe. Von wegen. Der Schock als ich ihn heute nach der „Ruhe“ wieder sah, saß tief. Ich hab mit allem gerechnet. Aber es ist nichts passiert. Ein kurzer Blick, das wars!

Ich erinnerte mich an den Artikel von heute morgen. Diese Begegnung machte mir bewusst, dass das Löschen einer Handynummer nicht gleich den dazugehörigen nervigen Typen eliminiert (sorry). Selbst nicht in einer verfickten 4 Mio Einwohner Stadt wie Berlin. Wieso fühlte ich mich dann vorher nur so sicher?

Virtuelles vs reales Leben

Wie Narziss aus der griechischen Mythologie verlieben wir uns heute nicht in unser Spiegelbild, sondern in unser virtuelles Ich. Wir kreieren unser Social-Me ganz bewusst. Es sieht besser aus (dank Photoshop für Vollspastis), erlebt tolle Dinge, hat stets gute Laune und ist mutiger als unser Real-Me. Es kommentiert irgendwelche Postings und springt auf Shitstorms auf. Rebelliert, gibt Zuspruch. Herzt und lacht. Fühlt bei traurigen Ereignissen kurzfristig mit, bis das eigene Profilbild wieder ausgetauscht wird, mit der Gier nach Likes, die über allem stehen. Es bencht und ghostet ohne Gewissen. Und machen wir uns nichts vor: Es steckt in jedem von uns.

Wie bei einer gespaltenen Persönlichkeit. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. Schließlich habe ich ja auch geghostet und gebencht. Und schließlich wurde auch ich schon geghostet und gebencht! Und erst als diese grauenvollen „Kinder“ einen Namen bekamen, man darüber las, dachte man sich: Ach krass, ich wurde gebencht. Dabei ist es wie mit einer Krankheit an der man leidet, ohne zu wissen was es ist. Schnell mal Dr. Google fragen und schon hat man Erleichterung, nur weil man weiß was es ist – also im Prinzip.

Aber das alles ist doch nichts Neues?

Die Reservebank gab es schon immer und das Abhauen ohne jegliches Lebenszeichen auch. In der Flut an täglichen Kontakten, welche nur auf Distanz basieren, fällt uns das womöglich gar nicht mehr auf. Wir brauchen für alles eine Erklärung. Dann können wir uns besser damit abfinden. Aber, wann wurden wir solche Memmen? Ich habe das Gefühl, dass einfach alle Epochen sich in unserer treffen und untereinander einen ätzenden Krieg führen. Wir freuen uns über alle Vorteile und Neuerungen, welche unsere Vorfahren sich damals hart erarbeitet haben, ohne dafür unseren Mann oder Frau zu stehen.

Man zeigt frei seine Gefühle wie in der Romantik, schwächelt aber, wenn es darauf ankommt. Schwelgt in materialistischem Luxus wie in den 50ern, hat den Sinn und  Wert der wirklich wichtigen Dinge längst verloren. Hat neue Freiheiten wie in den 70ern, würde aber nicht für diese kämpfen, sondern nur mit den Achseln zucken. Lässt sich doch sowieso nichts ändern. Wir streben danach, uns selbst zu verwirklichen, wissen aber im Grunde nicht wer wir sind.

Wer sind wir?

Ein Versuch:

Gefangen im reißenden Fluss des Mainstream lassen wir uns mit gespieltem Widerwillen treiben, krallen uns ab und zu am Ufer fest, um gegen das Gewöhnliche anzukämpfen, dem Strom nicht zu erliegen. Die Flut an Trends jagt dabei an uns vorbei, so schnell, dass sie nicht zu fassen sind. Anders sein war noch nie so schwer wie heute. Wir haben keine Jugendkultur mehr, deren Denken, Ansichten und Glaube bestimmten Codes wie Musikgeschmack oder Kleidungsstil unterliegt. Betrachtet man heute die Straßen Berlins, will jeder mit seinem Look individuell sein. Im Grunde jedoch sehen dadurch alle gleich aus. Die Modesoziologie besagt, Trends folgen bedeutet der Wunsch nach Sicherheit. Die Zugehörigkeit einer Gruppe macht uns stark. Dennoch hegen wir den starken Wunsch, innerhalb dieser Gruppe einzigartig sein zu wollen.

Beispiel:

Wenn Anderssein bereits Mainstream ist dann ist es das Normale, was heraus sticht. Paradoxer geht es doch nicht. Wenn Chia-Samen im Büro des Straßenverkehrsamtes im Bonner Kaff bei den gesetzten Damen über 50 jetzt als der Food-Trend schlechthin über den Joghurt gestreut wird und die Mutti aufm Dorf kokett Ombre Hair trägt, dann sind diese Trends für mich lange tot und begraben.

Wieso ist auf einmal der sogenannte Normcore Style denn jetzt im Trend? Die Wortneuschöpfung setzt sich aus Normal und Hardcore zusammen. Ganz einfach zurück zum harten Normalen, krude gesagt: Durchschnitt. Weißes schlichtes T-Shirt, helle Jeans, fertig. Aber natürlich alles von guter Qualität. Und wieso sind regionale Anbieter in Sachen Ernährung wieder so gefragt? Uns zieht es in die Ferne, Reisen, wollen alles erleben, aber wir wünschen uns ganz banal mit regionalem Obst Nähe zu unserem Umfeld, zur Heimat.

Ach ich mache jetzt Paleo, die Steinzeit Diät! Zu essen gibt es nur Obst, Gemüse und Fleisch. Der Neo-Neandertaler von heute quasi. Mit Backofen und lässigen Rezepten frisch von Pinterest. Genau, ist klar. Aber bloß nicht das Foto vom fertigen Muffin für Insta vergessen!

Überzeugung? Nein. Beugung!

Wieso schafft der Berliner sich denn ein Subdorf, bleibt nur in seinem Kiez, wenn ihm die große Stadt, die niemals schläft, zu Fuße liegt? Nur einige von vielen Beispielen. Wirklich, ich mache mich hier nicht lustig, denn ich zähle selbst zu dieser Sorte: Normcore, Paleo, Kiez-Nazi! Ich, also mein Real-Me, ist verwirrt.

Denn die Gesellschaft hat mich verzogen wie ein verwöhntes Einzelkind. Mir wird alles Tolle und Großartige vor die Nase gehalten und ich darf mich zwischen Reizüberflutung, Trends, Preisen und Qualitäten entscheiden. First World Problems. Das ist einfach grauenhaft. Zu viel!

Wenn ich in der Drogerie stehe und einfach nur ganz normales Shampoo kaufen will, bekomme ich schon einen Nervenzusammenbruch. Für trockenes Haar, für stumpfes Haar, für glanzlos Haar, koloriert, blond, brünett, grau? Welches soll ich nehmen? Was habe ich eigentlich für Haar? Irgendwie passen alle. Aber welche Firma? Shampoo!!!!! Ich will einfach nur etwas, was meine Haare sauber macht. Dabei das Richtige zu finde ist fast wie die Suche nach dem Partner fürs Leben. Verflucht kompliziert.

Ach, ne das duftet nicht gut. Das ist zu teuer. Bei dem meinte Susi es sei scheiße. Dafür macht doch diese TV-Bitch da Werbung. Wobei das muss ja nix heißen! Vielleicht checke ich online schnell Stiftung Warentest? Ach, verdammte Scheiße! Ich nehme einfach das mit der hübschen Verpackung! Irgendwie gewinnt die selektive Wahrnehmung doch immer. Diesmal hat der Produktdesigner ins Schwarze getroffen. Diese oder ähnlich perfide Beurteilungen ziehen sich wie ein roter Faden hinweg von Pflegeprodukten über alle Bereiche meines Lebens. Mein Real-Me ist lost, mein Social-Me taggt den Shampoo-Hersteller bei seinem Insta Selfie. #Goodchoice!

Kann man eigentlich sein Social-Me ghosten?

Aussteigen? Betrachte ich so meine aktuelle Situation: Macbook auf dem Schoß und Handy neben mir im Bett, dann lautet die Antwort wohl eindeutig Nein. Die Fesseln sind zu stark. Aktuellen Trendprognosen zufolge wird der soziale Ausstieg jedoch in 30 bis 40 Jahren prophezeit. Denn die nächste Generation ist dann, so heißt es, tired of using technology.

Na schön. Ich sehe ihnen dabei zu und zucke dann einfach mit den Achseln. Kann ich ja nichts dran ändern …

Über den Autor/die Autorin

Rosa

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