Studentenalltag

Willkommen nach Hause

Bahnstreik Bullshit Bingo
Geschrieben von Emily

Deutsche? – Nein, danke.

So habe ich mir das am Anfang überlegt und bin zum Studieren nach Holland gegangen. Mein Nationalstolz, Deutsche zu sein, hat sich schon immer in Grenzen gehalten und hat während meiner Zeit außerhalb Deutschlands nicht gerade zugenommen – dachte ich zumindest. Die Deutschen, die man im Ausland trifft, erkennt man schon auf weite Entfernung. Sie sind das Ebenbild des Socken-in-Sandalen-Touristen, laut, ungeniert und, um es diplomatisch auszudrücken: äußerst extrovertiert. Alle diese Eigenschaften sind im Deutsch-sein mitinbegriffen.

Ich bin Deutsche,

aber meistens lieber inkognito. Ich kann mich besser mit dem Gedanken anfreunden, dass mich Leute als laut, ungeniert und äußerst extrovertiert abstempeln, als einfach nur Deutsch. Fragt mich nicht, welcher Sinn dahinter steckt, denn ich werde sowieso bei dieser Meinung bleiben. Ach ja, stur bin ich auch.

Nun bin ich also eine Weile weggewesen und mache mich auf den Weg nach Hause, einmal bei Muttern den Kühlschrank plündern und was man sonst noch so macht. Ich packe holländische Honigwaffeln [Stroohpwaahffälls] ein und setze mich in den Zug. Die Fahrt verläuft leise und entspannt, bis wir die deutsche Grenze erreichen. Schon beim ersten deutschen Halt steigt eine Gruppe schnatternder Mädchen dazu. Sie können nicht älter sein als ich, sind also frische Studenten und „Arbeitsfindende“, wie sie lauthals im Wagon verkünden. Bereits nach fünf Minuten weiß ich, dass Lena, Isa, Christiane und Franziska zusammen ins Erwachsensein fahren, dass die Hälfte der Gruppe Samsung-Handys hat, aber nur ein passendes Ladegerät, das abwechselnd genutzt wird, und dass sie große Pläne für ihr gemeinsames Wochenende haben.

 Der Schaffner macht seine Runden und wird fröhlich von den wilden Hühnern empfangen.

„Na ihr!“ grüßt er sie, wie sich alte Bekannte auch grüßen. Nach großem Hin-und-Her stellen sie fest, dass Franziska die Fahrkarten hat und der Schaffner sagt „Soso, also viermal Erwachsen?“, worauf Franziska kichert und sagt: „Naja, wohl eher nicht…“ und schon gackern die vier drauf los. Der eine oder andere Scherz wird noch ausgetauscht, dann macht sich der Schaffner weiter auf den Weg durch das Abteil. Er hat sich schon bis zu mir vorgearbeitet, da ruft eine Mädchenstimme „Herr Schaffneeer!“, er antwortet ohne hochzusehen „Franziskaaa!“ – die Gruppe lacht, sagt aber nichts mehr. Ich muss auch lachen und finde mein holländisches Ticket auf einmal ganz blöd und von meinen Honigwaffeln möchte ich auch keine mehr. Der Zug ist nicht mehr ein anonymes Fahrzeug, das uns alle von A nach B bringt, sondern ein fahrendes Wohnzimmer, in welchem ich mich anfange, sehr wohlzufühlen. Man unterhält sich und tauscht kleine Anekdoten aus.

Energydrinks, Scientology und sonstige Religionen

Inzwischen habe ich auch einen Sitznachbar, der mir vorm Hinsetzen seinen Energydrink in die Hand drückt, um seine Taschen und Jacken auf die Gepäckablage zu sortieren und sich dann neben mich auf den Sitz plumpsen lässt. Wir unterhalten uns über Energydrinks, Scientology und sonstige Religionen, die peinlichen Englischkenntnisse des Durchschnittsdeutschen und die Einschaltquoten fremdsprachiger Filme. Wir reden einfach drauf los, und schon sind wir in Hannover und er muss aussteigen. Erst jetzt fällt mir ein, dass ich keine Ahnung habe, wie er heißt, oder wo er herkommt, nur eine Hand voll Meinungen hat er hinterlassen.

Der Schaffner kommt wieder zurück, bleibt aber in meiner Sitzreihe stehen, stöhnt theatralisch, muss aber gleich danach lachen, weil ihn Franziska vom anderen Ende des Abteils erkennt und „HI!!“ ruft. Er atmet tief durch und versucht an der Reisegruppe ungehindert vorbeizugehen, scheitert aber – natürlich. „Kommen Sie mit nach Berlin, ein bisschen feiern?“ Die restlichen Herrschaften in unserem gemütlichen Wohnzimmer amüsieren sich. Alle, außer dem holländischen Paar in der Reihe vor mir. Man, seid ihr langweilig, denke ich mir und trage zum kollektiven Raunen bei, wenn der Zug durch einen Tunnel fährt und der Druck auf den Ohren zu spüren ist.

Noch ein letztes Mal kommt der Schaffner vorbei, um die Zugestiegenen zu kontrollieren. Bei einem Jungen (äh…Mann? naja, mein Alter) schräg vor mir sagt der Schaffner „Auch Berlin? Franziska und die Mädels sind auch überm Wochenende da.“ „Franziska?“, der junge Mann ist rechtlich verwirrt. „Jaja, sind alle ganz nett, sitzen da hinten.“ Der Schaffner klopft ihm auf die Schulter und geht weiter.

 Die Zugfahrt neigt sich dem Ende zu, die Leute stehen auf und sammeln ihre Sachen zusammen und bewegen sich Richtung Ausgang. Ich geselle mich dazu und freue mich mit Franziska und Co. auf das kommende Wochenende. Ob wir uns danach wieder hier begegnen? Wir rollen in den Berliner Hauptbahnhof und der Schaffner meldet sich ein aller letztes Mal, diesmal über die Lautsprecher. Er wünscht uns allen einen schönen Aufenthalt und endet mit dem wohlbekannten:

„Sänk ju for trävelling wiss Deutsche Bahn!“ – Ja, bitte!

Über den Autor/die Autorin

Emily

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