Studentencampus

Auslandssemester in Frankreich

Auslandssemester in Frankreich - Erwartungen vs. Realität
Geschrieben von Stina

Ein Auslandssemester in Frankreich – soweit, so gut. Wäre da nicht ein klitzekleiner Haken: Mein Studiengang „Angewandte Sprachwissenschaften“ ist bilingual (Deutsch/ Englisch). Englisch studieren in Frankreich? Die blöden Kommentare ließen nicht lange auf sich warten. Da das Auslandssemester an einer englischsprachigen Uni aber verpflichtend ist und ich seit Kindesbeinen an zweimal pro Jahr Urlaub in Frankreich gemacht habe, stand mein Wunschland von vornherein fest.

Die Universität

Die angeblich englischsprachige Uni entsprach nicht ganz unseren Vorstellungen. Um ehrlich zu sein: Hier spricht kaum jemand Englisch, abgesehen von den wenigen Professoren, die Muttersprachler sind. Alle anderen Profs halten die Vorlesungen bzw. Seminare zu 90% auf Französisch, „weil sonst niemand etwas versteht“. Wie auch, wenn man es nicht lernt? Wir hatten arge Schwierigkeiten, einen Stundenplan mit den erforderlichen 30 ECTS zu bekommen und irgendwelche Kurse zusammen zu kratzen, die zumindest im entferntesten Sinne etwas mit unserem Fach zu tun haben.

Die Seminare dauern hier 60 Minuten und gehen nahtlos in einander über. Das bedeutet, dass pünktlich zu jeder vollen Stunde alle Studenten aufspringen und in den nächsten Raum hetzen. Während wir deutschen Studenten in der ersten Woche am Ende der Seminare immer brav auf den Tisch klopften, waren die französischen Studenten schon längst über alle Berge. Wir haben uns das dann auch relativ schnell abgewöhnt. Der Begriff „Vorlesung“ hat hier eine völlig neue Bedeutung erhalten. Tatsächlich lesen die meisten Profs ihre Vorlesung wortwörtlich von einem Zettel ab und die französischen Studenten hacken sie Wort für Wort in ihr Notebook. Dabei schauen sie ab und zu geringschätzig bis überrascht auf unsere stichpunktartigen Notizen…

Ein weiteres Highlight in unserem französischen Uni-Leben ist ein Seminar, das sich hauptsächlich auf Kommunikation und Konversation beschränkt. Hier wird also alle paar Stunden eine neue Gruppenarbeit angeleiert, die meistens ein Rollenspiel zum Ziel hat. Mit Poster. Ja, ihr habt richtig gehört. Wir malen Poster. Im 6. Semester! Und ja, die meisten Studenten sprechen in etwa auf dem Niveau eines Neuntklässlers.

Der Straßenverkehr

Der Straßenverkehr in Frankreich ist eine Wissenschaft für sich. Ich habe ein paar Tage gebraucht, um mich zurechtzufinden – sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto. Als Fußgänger ist es recht simple: Am Zebrastreifen hält niemand von alleine an. Also einfach voller Selbstbewusstsein auf die Fahrbahn treten und schon mal den Arm heben, um sich im Voraus dafür zu bedanken, dass man am Leben gelassen wird (was meistens der Fall ist). Wer zögert, verliert!

Rote Fußgängerampeln existieren hier nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Ich wohne in der Nähe einer Schule und habe mich eines Morgens ordnungsgemäß an die rote Ampel gestellt – bis sich ein Pulk Kinder an mir vorbeidrängte und ihnen kurz darauf eine Mutter mit zwei Kindern an der Hand folgte. Dieses Phänomen habe ich noch ein paar Tage beobachtet und mich irgendwann der Masse angeschlossen. Rote Fußgängerampeln sind für Anfänger!

Als Fahrradfahrer lebt es sich recht gefährlich, da ein Großteil der Autofahrer hier ziemlich radikal fährt (dazu gleich mehr) und man häufig um sein Leben fürchten muss. Die meisten Fahrradwege sind Teil der Busspuren, sodass man ständig einen 11-Tonner im Nacken sitzen hat und um sein Leben strampelt. Auch in 30-Zonen (Richtwert) muss man ständig auf der Hut sein, denn im Auto haben es die Franzosen stets eilig und überholen Fahrradfahrer an den unmöglichsten Stellen und ohne Rücksicht auf Verluste (warum sie trotzdem nie pünktlich sind, weiß ich immer noch nicht).

Vorsicht ist ebenfalls bei abbiegenden Autos geboten, Schulterblick und Bremsbereitschaft ist nur von Fahrschulautos zu erwarten. Mittlerweile habe ich es aber aufgegeben, mich über jeden abbiegenden Autofahrer aufzuregen, der mich beinahe niedermäht.

Wer also in Frankreich Auto fährt, sollte sich folgende (halbernste) Regeln zu Herzen nehmen:

  1. Sei rücksichtslos! Gegenüber Fahrradfahrern, Fußgängern am Zebrastreifen und natürlich deinen Mitstreitern in Autos und auf Motorrädern.
  2. Ignoriere Stoppschilder, es sei denn, du möchtest den Zorn deines Hintermannes auf dich ziehen.
  3. Ampeln springen von Rot direkt auf Grün, also am besten die ganze Zeit auf dem Gaspedal stehen und die Kupplung bereithalten – ansonsten drohen ebenfalls Hupkonzerte.
  4. Hindernis auf deiner Seite? Egal – wer schneller fährt, darf als erstes durch.
  5. Außenspiegel bleiben am besten eingeklappt, damit die Motorräder auch auf der Autobahn zwischen zwei Autos durchkommen. Sandalen und kurze Hose gehören hierbei zur Schutzkleidung.
  6. Auf der Autobahn gilt: Blinker links bleibt durchgehend an, es sei denn, man muss rechts überholen, dann entsprechend der rechte.
  7. Der Kreisverkehr ist in Frankreich heilig. Entweder du passt dich an das Gedränge an oder du hast verloren.
  8. Überholen geht immer. Auch an unübersichtlichen Stellen und über durchgezogenen Linien.

Das Land und die Leute

Trotz meiner langjährigen Frankreich-Erfahrungen, bin ich auch dieses Mal wieder überrascht und erfreut über die Offenheit und Ungezwungenheit der Franzosen. Sei es an der Ampel mit einem anderen Fahrradfahrer oder an der Bushaltestelle mit einer Oma: Scheinbar jeder ist zu einem Plausch aufgelegt und freut sich, wenn man als Nicht-Einheimischer die Sprache spricht.

Mein Apartment ist im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses, sodass ich engen Kontakt zur Familie habe, die das Apartment vermietet. Mittlerweile wundere ich mich nicht mehr, wenn die Haustür mal wieder nicht abgeschlossen war. Passiert schon nichts! Auch meine Zimmertür schließe ich nicht mehr ab, auch nicht, während Handwerker in meiner Küche arbeiten. Stattdessen unterhalte ich mich mit ihnen und biete ihnen Trinken und Essen an, wie das hier so üblich ist.

Vorurteile

Ich bin einem Basketballverein beigetreten und trainiere mit der hiesigen Damenmannschaft. Dadurch habe ich viel Kontakt zu waschechten Franzosen und so tauschen wir uns über die Vorurteile aus, was immer sehr unterhaltsam ist… Bestes Beispiel: Während einer Fahrt zum Auswärtsspiel kam irgendein Techno-Lied im Radio. Die Fahrerin hat direkt aufgedreht und alle riefen: „Stina, hör mal, Techno! Das mögen doch alle Deutschen!“ Äh, nein.

Für großes „Entsetzen“ hat auch meine Beschreibung eines deutschen Frühstücks gesorgt. Brötchen oder Brot mit allerlei Aufschnitt und manchmal sogar Eiern… Unvorstellbar für die Franzosen, die morgens höchstens ein Croissant oder ein Stückchen trockenen Kuchen essen und Kaffee trinken. Neben der Unfähigkeit Englisch zu sprechen, hat sich übrigens noch ein Vorurteil bestätigt: Das bekannte Bild eines Franzosen mit einem Baguette in der Hand.

Bestes Beispiel: Nach einem Spaziergang mit dem Hund meiner Vermieter habe ich noch ein Baguette geholt und siehe da: Mit dem Hund an der einen Hand und Baguette in der anderen sahen wir offenbar ganz schön Französisch aus, denn plötzlich wurden wir von allen Franzosen mit einem freundlichen “Bonjour” begrüßt. So viel also zum Thema Stereotypen. Wenn man hingegen in Turnschuhen und mit Rucksack unterwegs ist und zwischendurch orientierungslos auf die Straßenkarte starrt, steht einem das Wort “Touri” natürlich auch auf die Stirn tätowiert.

Savoir vivre

Das Auslandssemester neigt sich langsam dem Ende zu. Neben all den leckeren Sachen, die es hier zu essen gibt, habe ich aber vor allem eins schätzen gelernt: Das berühmte „savoir vivre“. Nach einem turbulenten und schlecht organisierten Start haben wir uns dazu entschieden, die deutsche „Gestressheit“ abzulegen und uns zu entspannen. Wir sind zwar immer noch pünktlich bei allen Treffen, aber wenn mal wieder etwas nicht sofort klappt.. t’inquiètes.  Ça va arriver!

Über den Autor/die Autorin

Stina

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