Der geilste Tag ist deutsch

Junge, höchstwahrscheinlich deutsch
Geschrieben von Wichtelwald

„Weißt du was?“, fragt er.
„Ne?“
„Der geilste Tag. Der ist jetzt.“

Ende.

Im Kino ist es still. Der Abspann läuft längst, aber keiner erhebt sich von den Sitzen, kein hektisches Taschen suchen, kein wildes Popcorn aus den letzten Klamottenritzen entfernen. Man hält kurz inne, lässt die Gedanken kreisen.

Ein deutscher Film, zwei attraktive, bekannte Schauspieler, typische Geschichte. Todkrank, auf der Suche nach dem (letzten) geilen Tag, auf der Suche nach sich selbst, nach dem, was wichtig ist. Die typischen Klischees, die typischen Fragen und Antworten. Wer bin ich eigentlich? Wovor habe ich Angst? Was will ich und was sind meine Träume? Lebe ich mein Leben, so wie ich es möchte? Wo ist der Sinn und würde ich etwas anders machen, wenn ich noch einmal leben könnte? Wir leben nur einmal, lass los von dem, was weh tut und mach das, was dir gut tut. Leb den Moment und sei frei – das Übliche halt. Trotzdem ein verdammt guter Film. Spricht irgendwie an, ein typischer deutscher Film.

Wieso gefällt uns das so oft? Diese typische Deutsch in den Filmen? Ein bisschen Liebe, ein bisschen Familiendrama, ein bisschen Krankheit oder manchmal sogar ein bisschen Tod. Melancholie halt. Was zum Nachdenken, denn nachdenken tun wir ja gerne. Und natürlich eine Prise Humor, denn wer sagt, Deutsche würden keinen Spaß verstehen, der irrt ja wohl. Trotzdem natürlich kein kitschiges Happy End, wir wollen ja realistisch bleiben.

Doch was ist das eigentlich? In dieser Zeit, in der so viel von Werten und Kultur gesprochen wird. Vom Volk und vom deutschen Volk.

Was und wer sind wir?

Wir sind deutsch.

Das steht nicht nur in unserem Pass, wir leben auch in Deutschland und wir sprechen die gleiche Sprache – nämlich Deutsch. Und einige von uns gehen ins Kino und schauen sich den neuen deutschen Film „Der geilste Tag“ an. Vielleicht nur wegen der Schauspieler, endlich mal wieder mit den Mädels unterwegs oder aber man packt seinen Freund/Partner/Mann mehr oder weniger freiwillig mit ein, mal wieder was gemeinsam unternehmen. Und dann endet der Film und, ob man will oder nicht, man muss kurz nachdenken.

Darüber, wie oft man sich in den letzten Wochen Zeit für solche Dinge wie ins Kino gehen genommen hat. Darüber was zu Hause noch alles auf einen wartet und dass man noch nie in Afrika war. Und auch noch niemals in New York. Mal ein bisschen frei sein, dieses Gefühl, wir fahren bis ans Ende der Welt, nur du und ich und nichts kann uns aufhalten. Naja. Wenn man nicht gerade todkrank ist, kann man sich das eh nicht leisten. Apropos, morgen ist auch wieder zeitig Aufstehen angesagt, die Arbeit ruft. Beim Verlassen des Kinos ist man schon wieder fast der Alte. Hält trotzdem kurz an, um dem Obdachlosen einen Euro in die Hand zu drücken. Fühlt sich irgendwie auch dankbar für die Gesundheit und das Dach überm Kopf, was man hat. Also, jetzt aber ab nach Hause, ins Bett und den Wecker für morgen früh stellen. Noch zwei Tage, dann ist Wochenende. Gute Nacht.

Faszinierend. Wir können so viel Abenteuer und Wunder in unseren Köpfen kreieren, von Träumen und Wünschen irgendwo am Ende der Welt und dabei so muffig drein schauend in der Straßenbahn stehen. Dabei ringen wir uns ein gequältes Lächeln ab, wenn das kleine Kind neben uns freundlich seinen Teddy vorstellt, denn Familie und Traditionen sind uns wichtig. Freundlich grüßen wir den Kollegen, der mal wieder 5 Minuten zu spät ist,  wofür wir ihn  manchmal erwürgen könnten, immer auf den letzten Drücker. In der Mittagspause treffen wir die wirklichen Kollegen, die über die Jahre Freunde geworden sind. Man tauscht sich aus, über dies und das. Es regnet mal wieder, wird Zeit, dass der Frühling kommt. Auf dem Rückweg sind wir erschöpft, die kichernden Teenager in der Bahn machen das nicht einfacher. Eine ältere Dame steigt ein. Autoritärer Blick zu den Jugendlichen, na geht doch, einer bequemt sich nach einer gefühlten Ewigkeit aufzustehen. Endlich zuhause, Zeit zu entspannen, noch mal kurz dies und das erledigen, wollten das ja noch mit dem Urlaub klären und dann ist es auch schon wieder Zeit für einen neuen Tag.

Wir sind ernst, wir sind korrekt, wir sind pünktlich, wir sind zuverlässig, wir sind zum Kotzen spießig.

Zum Glück sind wir ja nicht alle so. Vielleicht sogar die wenigsten. Was wir aber sind, ist ein Volk. Ein Volk, welches sich arrangieren kann mit allerlei nicht erfüllter Träume und Wünsche. Eines, welches dankbar ist, für das ,was es hat. Welches teilt, was es hat. Eines, welches den Ernst des Lebens kennt und trotzdem das Lachen nicht vergisst. Aufgewachsen mit einer Geschichte, die manche Oma und Opa noch zu erzählen weiß, aufgewachsen mit einer Verantwortung. Getrennt und wiedervereinigt, zusammengehalten in guten und schlechten Zeiten. Wir sind bunt, wir sind offen, wir sind tolerant. Ja, wir sind das deutsche Volk und wir können willkommen heißen und teilen, uns öffnen und erklären, zuhören und voneinander lernen.

Der geilste Tag ist deutsch und zwar der, an dem wir uns erinnern, was wir sind. Eine demokratische Republik, die alle Menschen, unabhängig ihrer Nationalität, Herkunft oder ihres Geschlechts, achtet und prägt.

Willkommen in Deutschland!

Über den Autor/die Autorin

Wichtelwald

Ein Wald von Wichteln- herrliche Vorstellung oder?

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