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Lohnt sich ein Studium noch – früher Freifahrtschein, heute wertlos?

Ein Alumni von 1970 mit dickem Mercedes Benz steht einem Alumni von 2015 gegenüber, der wie ein Obdachloser um Geld bettelt - Lohnt sich ein Studium noch?
Geschrieben von Studiblog Staff

Lohnt sich ein Studium noch oder ist dem eine Ausbildung vorzuziehen?

Du willst dich gegen Arbeitslosigkeit versichern? Mache ein Studium. Du willst Zufriedenheit und ein üppiges Gehalt im späteren Berufsleben? Mache ein Studium. Du willst Prestige und Ansehen in der Gesellschaft? Mache ein Studium. Du willst dich von der Masse abheben und etwas aus deinem Leben machen? Mache ein Studium. Aber lohnt sich ein Studium noch?

Ein Hochschulstudium scheint in Deutschland in den letzten Jahren zu dem Allheilmittel für die berufliche Zukunft geworden zu sein. Hast du nicht studiert, kann aus dir nichts werden, so die vorherrschende Meinung vieler. Vor dem Hintergrund dieser Denkweise hat sich das Hochschulstudium in Deutschland in den letzten Jahren zu einem regelrechten „Massenprodukt“ entwickelt. Ein Produkt, welches einen nicht mehr aufzuhaltenden Strom an Studenten hervorbringt und die Hochschulen aus allen Nähten platzen lässt. Alle rennen in die Hörsäle, besuchen Blockveranstaltungen und schreiben Hausarbeiten, um am schnellsten ihr Hochschulzeugnis in den Händen halten zu können. Studieren ist der neueste Mainstream-Scheiß, könnte man sagen.

 „Hochschullabschlüsse for everybody!“

In Zahlen liest sich dieser Akademisierungswahnsinn wie folgt: Die Zahl der Abiturienten hat sich in den letzten 20 Jahren beinahe verdoppelt und im Studienjahr 2014 lag die Studienanfängerquote in Deutschland erstmals bei 57,3 Prozent.[1] Mehr als jeder zweite junge Mensch geht also mittlerweile studieren in Deutschland und ein Ende ist nicht in Sicht. Deutsche Politiker fordern nämlich eine noch höhere Abitur- und Studierendenquote. Bald werden 60% eines Jahrganges studieren gehen, in eigenen Jahren wahrscheinlich noch mehr. Deutschland- das Land der Denker, Lenker und Akademiker. So klingt die Traumvorstellung der deutschen Bildungspolitik. Doch nicht nur die Politik, sondern auch die deutschen Unternehmen mischen bei der Akademisierung mit. Beinahe täglich ist in einer der großen deutschen Tageszeitungen ein Artikel zu lesen, der den Personalvorstand eines großen Unternehmens mit der Aussage

Wir brauchen mehr Fachkräfte

zitiert. Jungen Menschen wird so suggeriert, dass ein Studium Pflicht ist, um in ein Unternehmen zu kommen. Immerhin ist man mit einem abgeschlossenen Studium ja dann eine akademische Fachkraft, die den „Fachkräftemangel“ beheben kann. Die perfekte Lösung also, oder?

Die Akademisierung als Karrierefalle?

Eher weniger, denn von einem Mangel an akademischen Fachkräften ist nichts zu spüren. Das Gegenteil ist der Fall: Akademiker überschwemmen geradezu den deutschen Arbeitsmarkt. 436.400 waren es im Prüfungsjahr 2013[2]. Für die Zeit zwischen 2014 und 2016 ist noch einmal mit einem größeren Ansturm von Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt zu rechnen. Die Auswirkungen dieser Akademikerschwemme bekommen die Hochschulabsolventen immer mehr zu spüren, denn es greift das alte Prinzip des Überflusses: Je mehr Menschen ein Gut besitzen, desto weniger taugt es als Aushängeschild für Status; sprich, je mehr Menschen einen akademischen Abschluss erhalten, desto weniger ist der Abschluss wert. Selbst ein schwacher Student gehörte früher selbstverständlich zu einer Elite, als nur acht Prozent seines Jahrgangs studierten und konnte sich so seinen Job beinahe aussuchen. Für heutige Studenten gilt das wohl kaum. Sie sind nur ein weiteres Mitglied im riesigen Heer der Akademiker und konkurrieren dort mit ihren lückenlosen Lebensläufen und Top-Noten um immer weniger werdende Stellen – oftmals ohne Erfolg.

Die so genannte Sucharbeitslosigkeit

Bestes Beispiel dafür ist Michael, der sich seit dem Ende seines BWL-Studiums in der sogenannten „Sucharbeitslosigkeit“ befindet, wie der Prozess von suchen, bewerben und warten für Absolventen nach dem Studium beschrieben wird. Vor knapp dreieinhalb Jahren hatte sich Michael entschieden, nach seiner Ausbildung bei einem großen Automobilzulieferer, noch ein BWL-Studium oben draufzusetzen.

Um nicht ein Leben lang, diesen langweiligen 8-16 Uhr Bürojob machen zu müssen.

Das Bachelorstudium, inklusive teurem Auslandssemester in Australien, hatte er dann auch nach drei Jahren mit einem Notendurschnitt von 1,5 beendet. Top-qualifiziert konnte nun der Durchmarsch als Manager kommen – denkste. Anstatt dem gut bezahlten, attraktiven Traumjob im Management eines Konzerns, hagelte es eine Absage nach der anderen.

Über 10 Monate, 100 Bewerbungen, unzählige Vorstellungsgespräche und Absagen später, sagte er uns gestern verzweifelt:

Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber das Studium war der größte Fehler meines Lebens. Heute würde ich alles dafür geben, um jeden Tag meinen 8-16 Uhr Bürojob wieder machen zu dürfen.

Es ist das ernüchternde Fazit eines 25-jährigen, top-qualifizierten und motivierten Mannes, der die Folgen des Akademisierungswahns in Deutschland am eigenen Leib erfahren muss – und er ist damit nicht alleine. Auch wenn es die von der Politik oftmals selbstherrlich aufgeführte „niedrige Akademiker-Arbeitslosenquote“ gibt, sind immer mehr Akademiker arbeitslos, schlagen sich durch unzählige Praktika oder nehmen Jobs an, für die sie maßlos überqualifiziert sind.

Irgendwann, erklärt Michael nüchtern,

gibst du dich einfach mit allem zufrieden, was auch nur annähernd deinen Vorstellungen entspricht. Ganz egal, du willst einfach nur wieder arbeiten und das Gefühl haben gebraucht zu werden. Das Gehalt wird dir völlig egal. Eigentlich wollte ich nach meinem Abschluss als Projektmanager für ein Einstiegsgehalt von 45.000 Euro arbeiten. Heute sind schon Sachbearbeiterstellen mit 1100 Nettogehalt für mich eine Option.

Lohnt sich ein Studium noch?

Führt man sich dieses Beispiel vor Augen, stellt sich die Frage: Welchen Wert hat ein Studium heutzutage noch? Lohnt es sich wirklich drei Jahre mit einem Studium zu verbringen und viel Geld in seine Bildung zu investieren, wenn man am Ende keinen Job findet oder einen Job annimmt, für den man schlichtweg überqualifiziert ist oder ausgebeutet wird? Sollte man besser auf den Hochschulabschluss pfeifen und stattdessen wieder zurück zur klassischen Ausbildung und statt einem Bachelor of Arts wieder eine Handwerks- oder Technikerausbildung machen? Trumpft heute eine gute duale Ausbildung gegenüber einem toll-klingenden Hochschulabschluss?

Zur Beantwortung dieser Fragen versuchen wir euch mit unserer Serie zum Thema „Lohnt sich ein Studium noch – früher Freifahrtschein, heute wertlos?“ zu helfen. Dabei haben wir für euch Interviews mit Vertretern aus den Bereichen Bildung, Politik und Wirtschaft geführt, um das Thema rundum zu beleuchten. Wir haben auch mit den zwei beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands Audi und BMW gesprochen, den Präsidenten der Technischen Hochschule Deggendorf nach seiner Meinung befragt und natürlich auch Studenten zu Wort kommen lassen. Den Serienstart wird allerdings ein anderer machen: Herr Bernd Sibler, Staatssekretär für Kultus und Bildung, wird euch seine interessante Meinung zum Thema Studium geben. Ihr dürft gespannt sein!

Gerne dürft ihr mitdiskutieren und solltet ihr bereits eure eigenen Erfahrungen mit dem Thema ‚Lohnt sich ein Studium noch – früher Freifahrtschein, heute wertlos?‘ gemacht habt, freuen wir uns über eure Kommentare oder sogar Gastbeiträge in ausführlicher Form. 🙂

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Studiblog Staff

1 Kommentar

  • Der Artikel bringt die heutige Situation ganz gut auf den Punkt!

    Früher reichte es, wenn man ein Studium abgeschlossen hat. Heute spielen noch ganz viele andere Faktoren eine (wichtigere) Rolle, worauf die Studenten natürlich auch reagieren (Praktika, Auslandssemeter-Wahnsinn, Engagements in Studierendenverbänden etc.) – das gab es früher in diesen Ausmaßen nicht.

    Aus meiner Sicht ist die heutige Studentenschaft ein großer Topf voller Lebenslaufoptimierer, die dabei ihre wahren Interessen und stärken vernachlässigen und deshalb nach dem Studium häufig enttäuscht und ernüchtert feststellen, dass das Studium nicht die richtige Wahl war.

    Hier könnte man auch mal diesen „Auslandssemester-Wahn“ thematisieren – was bringt das eigentlich? Mache ich es für mich oder für meinen Lebenslauf?

    Zum Thema Fachkräftemangel kann ich nicht zustimmen, hier kommt es ja ganz stark auf die Branchen an. Handwerksbereiche rund um Elektrotechnik, usw., sind hier beispielsweise sehr stark betroffen.
    Für Ingenieure gilt im weitesten Sinne auch noch der Ansatz von früher – sie können sich Jobs meist aussuchen. Das sieht bei reinen Naturwissenschaften und Geistes- und Sozialwissenschaften natürlich ganz anders aus.

    Ich bin auf die weiteren Artikel gespannt!
    Viele Grüße
    David

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