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Ein Wochenende auf der Alm

Wochenende auf der Alm: Blick auf das Gipfelkreuz von einem Wanderweg aus - Geigelstein.
Geschrieben von Maria Wurm

Ein Einblick in Heidis Welt der Berge

1.400 Meter über Null – 1.400 Meter weit weg vom Alltagswahn im Tal – 1.400 Meter und reichlich Platz zur Entschleunigung; die Menschen und ihre Bergwelt haben etwas ganz Eigenes an sich, deren Rhythmus man sich schwer entziehen kann. Kaum angekommen, schon schaltet man einen Gang herunter, saugt die Ruhe der Natur in sich auf und wird unweigerlich ein Teil davon.

„Muggeee – feeiiiin“

Hermine bahnt sich ihren Weg durch die Rinderherde, immer begleitet von einem großen Stock und Gummistiefeln. Die Glocken der Kühe läuten, als sie ihre Köpfe drehen. Sie beäugen uns aus ihren großen dunklen Augen, neugierig und wachsam. Unzählige Kuhfladen säumen den Weg. Saftige Wiesen bedecken die steilen Berghänge, auf denen die Tiere ihren Sommer verbringen. Tag und Nacht bei jedem Wind und Wetter; vor uns taucht eine Hütte auf. Altes, wettergegerbtes Holz, bunte Blumen, einladende Bänke, ein plätschernder Brunnen und rundherum Kuhweiden; die Ackeralm wird für dieses Wochenende mein Zuhause sein.

„Die Leute hier oben ticken anders. –

Was sie heute nicht schaffen, wird halt morgen oder übermorgen erledigt“, erzählt Hermine, die den ganzen Sommer auf der Alm verbringt. Sie ist dort zusammen mit Steffi, die die Alm gepachtet hat und Jahr für Jahr in den Sommermonaten hier die Jungkühe verschiedener Bauern aus dem Tal versorgt. Tatsächlich kann ich es spüren, diese Verschiebung der Prioritäten. Materialismus, Konsum und andere Werte unserer westlichen Welt spielen hier oben kaum eine Rolle. Die pure Natur, die einen umgibt, erdet ungemein und holt einen sofort auf den Boden der Tatsachen. Hektik oder Stress gibt es hier oben höchstens, wenn eine der Kühe ausbüchst. Ich schalte sofort einen Gang runter, finde mich selbst im hier und jetzt wieder. Das Handy wird außer zum Fotografieren kaum benutzt, hier oben hat man ohnehin fast nirgendwo Empfang. Der Strom aus Solar- und Photovoltaikanlagen auf der Hütte reicht gerade so für das Festnetztelefon und das Licht.

Zu Hermines täglichen Aufgaben gehört vor allem Kühe zählen und die kilometerlangen Zaunumrandungen zu kontrollieren. Erst vor kurzem wurde eine Kuh in der Nacht von einer Kreuzotter gebissen und ist noch immer nicht wieder ganz die Alte. Rinder versorgen uns Menschen seit 10.000 Jahren mit Milch, Käse, Fleisch und Leder, sie sind unweigerlich ein Teil unserer Geschichte. Heute sorgen sie auf dem Berg vor allem dafür, dass er nicht komplett verwaldet. Dank hoher Subventionen herrscht hier immer noch rege Betriebsamkeit: bei einer Wanderung kreuzt man ständig die Weiden der Tiere und nicht selten kommt einem ein neugieriges Exemplar bedrohlich nahe. Die Tiere sind nicht zu unterschätzen. Fühlen sie sich bedroht, gehen sie schnell in den Angriff über. „Ich würde nie ohne Stock auf die Weide gehen“, erzählt Hermine, die nicht selten Kontakt mit zu aufdringlichen Jungtieren macht. Man muss taff sein, um sich hier oben durchzuschlagen und darf schwere körperliche Arbeit nicht scheuen. Holz machen, Zaunpfähle erneuern, Kühe einfangen, das alles steht hier auf der Tagesordnung.

Ich hätte noch viel länger bleiben können

Mir mangelte es an nichts. Mein Morgen startet mit einer Tasse frisch gebrühtem Kaffee vor der Hütte. Die Sonne scheint mir ins Gesicht während ich meinen Blick über die Berge schweifen lasse. Wie kann man das Leben nicht lieben? Was braucht man eigentlich zum Glücklichsein? Essen, ein gutes Buch, gute Gesellschaft, die Natur um mich herum – das alles hat mich mehr als erfüllt.

„Jedes Mal wenn ich ins Tal fahre, um einzukaufen, überfordert mich der Lärm dort. Ein Auto nach dem anderen rauscht an der Straße vorbei,“ erzählt Hermine. „Letztes Mal habe ich mich in ein Café gesetzt, um mal wieder einen richtigen Cappuccino mit Milchschaum zu trinken. Die Leute sind so hektisch herumgerannt, haben mit ihren Kindern geschimpft… Das hat mich so überfordert, ich wollte nur wieder so schnell wie möglich auf den Berg und zu meinen Kühen.“

Ich kann mir vorstellen, wie es ihr nach Monaten hier oben im Tal unten ergangen hat.

 

In der Nacht fängt es an zu regnen. Hermine und ich schlafen direkt unter dem Dach der Alm und dicke Tropfen prasseln laut auf die Dachziegel. Ich bekomme fast kein Auge zu und muss ständig an die Kühe auf der Weide denken, wie sie im nassen Gras liegen, wiederkäuen und vermutlich auch kein Auge zu tun. Die Tiere sind das raue Wetter in den Bergen gewohnt, doch wie der Wind so um die Hütte pfeift, drehe ich mich unruhig von einer Seite auf die andere. Meine Gedanken wandern umher. Abschalten und den Alltag vergessen geht wohl doch nicht so schnell, wie zunächst angenommen.

Hermine erzählt mir von Mare, einer Legende auf dem Berg. Sie kam mit 17 Jahren aus Liebeskummer auf die Oberkaseralm. Der Berg wurde ihr Zufluchtsort, ihre Heimat, dort lebte sie bis zu ihrem Tod vor einigen Wochen alleine auf der Alm, knapp unter der Spitze des Geigelsteins. Mit 92 Jahren ist sie gestorben.

„Sie hat immer gesagt, den Berg verlässt sie nur noch einmal, und zwar mit den Füßen voran,“ erzählt Hermine.

Sie versorgte ihr Leben lang in den Sommermonaten das Vieh auf der Alm, verrichtete ihre Arbeit als Sennerin und lebte von den wenigen Dingen, die es dort oben gab. In harten Wintern wurde die Hütte oftmals komplett eingeschneit, nur der Rauch aus dem Kamin stieg über dem dicken Schneedach in die Höhe und ließ vermuten, dass darunter ein Mensch existierte.

Selbst dort oben versorgt die Natur den Menschen gut

Heidelbeeren, Preiselbeeren, Pilze, Thymian, Minze; mittlerweile sind die Chiemgauer Alpen gut erschlossen und die Bergwelt rund um den Geigelstein fast komplett mit dem Auto befahrbar. Dennoch ist der Raubbau an den Alpen hier nicht so weit fortgeschritten, wie andernorts. Die Gemeinden Sachrang und Schleching erhielten vor kurzem das Prädikat „Bergwanderdorf“. Ausgezeichnet werden Orte, die es noch heute geschafft haben, den Einklang zwischen Natur und Mensch zu wahren. Angestrebt wird eine nachhaltige Entwicklung im gesamten Alpenraum.

„Es soll net jeder mit’m Auto hier rauffahren, was meinst wie’s dann zugeht,“ empört sich Steffi.

So hat es die Region rund um den Geigelstein geschafft, sich ihre Ursprünglichkeit und ihren Charakter zu wahren. Selbstbedienungsrestaurants, Seilbahnen, breite Skipisten sucht man hier vergebens. Ursprünglichkeit, Tradition und Kultur hingegen kann man hier noch hautnah leben und erleben. Bergland- und Waldwirtschaft sind hier lebendiges Kulturgut und ich habe in meiner kurzen Zeit auf dem Berg ein intaktes Ökosystem, herzliche Menschen, atemberaubende Landschaften und eine Auszeit der besonderen Art genossen.

Über den Autor/die Autorin

Maria Wurm

Ich lebe in Bayern, bin 25 Jahre alt und habe meinen Bachelor of Arts für Angewandte Medien mit Schwerpunkt Sport-, Medien- und Eventmanagement am Campus M21 in Nürnberg gemacht.

Seit einem Jahr bin ich voll im Berufsleben und leite die Marketing-Abteilung eines Großhandelsbetriebs.

Meine wahre Leidenschaft ist allerdings das Reisen. Es hat mich schon so vieles gelehrt und um so viele Erfahrungen reicher gemacht, mehr als jedes Studium könnte.

Ich bin gespannt was das Leben noch für mich bereit hält und gebe euch hier einen kleinen Einblick in meine Welt.

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