Studentenbeiträge

WG-Geschichten [Teil 4]: fikcen? – Die Tinder-Story

Dunkelhaarige Frau mit einem Messer in der Hand und einem leichten Lächeln - Die Tinder-Dating-Story.
Geschrieben von Mairce H. Asé

 

 

 

Ich habe mich bei Tinder angemeldet, weil Charlotte so begeistert davon ist. Ich frage mich, ob sie wirklich mit Kalle im Bett war. Das habe ich wohl laut ausgesprochen, denn Charlotte lacht.

Nein, sagt sie, den habe sie nur angeschrieben, weil er Stricken als Hobby angegeben hatte. Sie treffen sich jetzt regelmäßig, um sich über Wolle auszutauschen.

Ich erstelle ein Profil und kaum ist es veröffentlicht, habe ich 27 neue Nachrichten.

fikcen?, lautet die erste, fikken???, die zweite

Es folgen weitere Variationen des gleichen Worts, keine davon ist richtig geschrieben. Erstaunlich viele Bewerber schaffen es, bei diesem einzelnen Ausdruck irgendwo ein falsches Komma zu setzen. Ich bin fasziniert über die Bandbreite an Emotionen, die durch unterschiedliche Kombinationen von Klein- und Großbuchstaben, Sonderzeichen, Emojis und Buchstabenwiederholungen in so ein kleines Wort passen.

Ich klicke mich durch einige Profile, bis ich einen Typen finde, der irgendwie nett und ein bisschen debil aussieht, also genau mein Beuteschema. Er heißt Timo. Ich frage mich, ob es hier zum guten Ton gehört, dass ich meine Nachricht mit Ficken? beginne, aber ich kann mich nicht so recht für eine der vielen möglichen falschen Varianten entscheiden. Irgendwie finde ich ja die mit dem Komma hübsch, aber schließlich entscheide ich mich doch lieber für was ganz ausgeflipptes. „Hallo!“, schreibe ich.

„Hallo!“, schreibt Timo zurück. Gut, dass er von meiner weiblichen Aggressivität nicht eingeschüchtert zu sein scheint.

Wir verabreden uns für Freitag

Kathi und Charlotte bestehen darauf mitzukommen.

„Wir halten uns auch dezent im Hintergrund“, verspricht Kathi.

„Aber es könnte ja sein, dass er ein Perversling ist“, sagt Charlotte.

Sie verstaut ein Pfefferspray, einen Taser, einen Schlagring und ein Butterflymesser in ihrer Handtasche und ich spare mir die Frage, warum sie sich alleine mit Tindertypen treffen darf.

Kathi nimmt auch noch Marc mit, mit dem sie seit zwei Tagen zusammen ist. Auf ein dreiköpfiges Publikum war ich bei meinem ersten Tinder-Date nicht vorbereitet. Die drei hängen an der Bar ab und sind ziemlich auffällig in ihrem Bemühen unauffällig zu sein. Kathi sitzt kerzengerade und alarmbereit wie ein Erdmännchen auf ihrem Stuhl, Charlotte hingegen praktiziert die betonte Lässigkeit von jemandem, der gar kein bisschen lässig ist. Ich glaube, Marc fragt sich, was er hier eigentlich soll, aber Kathi ist hier, also ist er auch hier. Die beiden sind jetzt schon die Art Pärchen, die fast nur noch als Wir existieren.

Ich gucke Timo an und frage mich, ob ich mit ihm auch mal die Art Pärchen sein möchte. Er erzählt gerade von seinem großen Hobby, dem Kopfrechnen. Ich glaube, das zwischen Timo und mir muss körperlich bleiben. Deshalb beschließe ich, die ganze Sache etwas abzukürzen.

Hier klicken, um den Inhalt von giphy.com anzuzeigen

via GIPHY

„Fic,ken?“, frage ich also und versuche den zwinkernden Emoji nachzuahmen, was wahrscheinlich aussieht, als sei ich halbseitig gelähmt. Timo erschrickt sich jedenfalls. Er springt auf und spurtet aus der Bar und sofort werde ich von zwei Typen umzingelt, die beide die Statur und Hautfarbe eines verhungerten Flamingos haben. Aber einer von ihnen hält ein Pfefferspray in der Hand.

„Perverse Sau!“, kreischt er hysterisch, sodass die ganze Bar zu mir rüberschaut.

Das ist Charlottes Stichwort. Sie packt ihr Arsenal aus, schmiert sich mit ihrem Mascara einen schwarzen Streifen auf jede Wange und nur Sekunden später prügelt sich die ganze Bar.

„Ihr hattet recht“, sage ich, als Kathi, Marc und ich uns heimlich verdrücken. „Das war ein Spinner, der hatte Bodyguards dabei.“

Der Morgen nach dem Tinder-Date

Charlotte können wir aus der Verwahrungshaft abholen. Ihre Mitinsassen und auch die Polizisten scheinen sehr erleichtert zu sein, als sie endlich geht. Ihr Butterflymesser bekommt sie nicht wieder, dafür aber das halbe Ohrläppchen, das sie abgebissen und auf das niemand Anspruch erhoben hat.

Auf dem Nachhauseweg frage ich mich, wie viele Tinder-Dates wohl mit einem Großeinsatz der örtlichen Polizei enden. Als ich Google frage, sind es erstaunlich viele, und ich fühle mich plötzlich gar nicht mehr so schlecht.

Bild: pexels

Über den Autor/die Autorin

Mairce H. Asé

Mairce H. Asé lebt in Mainz, wo sie dem glamourösen Leben einer studierten Vollzeitgeisteswissenschaftlerin frönt. Manchmal verläuft sie sich in den zweiunddreißig Zimmern ihrer Villa und muss von ihrem Wollschwein Bert gerettet werden. Wenn sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben, den Laptop, gerade findet, verfasst sie darauf Texte für andere Vollzeitgeisteswissenschaftler.

Einen Kommentar abgeben

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.