Studentenbeiträge

Happiness To Go im Ratgeber-Dschungel

Happiness-Ratgeber: Jemand hält ein Buch mit der Aufschrift Happy vor ein Pärchen, das in einer Bibliothek steht
Geschrieben von Joey

Selbst denken ist out. Das stellt so mancher in seinem näheren und weiteren Umfeld bedauerlicherweise immer wieder fest. Was man früher einmal als „common sense“ oder gesunden Menschenverstand bezeichnete, scheint vom Aussterben bedroht zu sein in unserer heutigen Welt. Für alles gibt es Anleitungen, Handbücher, Gebrauchsanweisungen. War man als Kind noch der coole Rebell, wenn man seinen Gameboy ohne Gebrauchsanweisung bedienen lernte, wird man heute merkwürdig beäugt, wenn man etwas nur ausprobiert, statt es in perfekter Form zu beherrschen. „Der hat sich bestimmt vorher nicht informiert, wie sowas geht.“ Kopfschütteln. Die Fremdscham der Anderen ist fast greifbar. Das darf nicht passieren! Aber wieso eigentlich nicht?

No Risk – no Fun

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Etwas selbst ausprobieren birgt natürlich immer gewisse Risiken. Es könnte ja schiefgehen, dann wäre man gescheitert, hätte nicht pflichtbewusst seine Leistung erbracht. Undenkbar! Gepredigt wird „Think outside the box!“; umgesetzt wird allerdings: „Bleib doch bitte in der bewährten Norm, hier ist es sicher.“ Früher wurden Querdenker als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder einfach über den Haufen geschossen. Heute ist das nicht mehr nötig. Jetzt übernimmt die global errichtete Schweigespirale aka. die Meinung der Massen das Mundtot-Machen der aufständischen Abweichler. Der Scheiterhaufen wurde verbannt und durch den Pranger der political correctness ersetzt. Henker kann heute jeder sein, der eine Meinung und einen Social-Media-Account beziehungsweise eine Internetverbindung besitzt. Diese selbst auserkorenen Meinungsverbreiter mit ihren von ihnen gewählten Vertretern an wichtigen Stellen sorgen selbstlos dafür, dass die Ordnung eingehalten wird. Koste es, was es wolle.

Vorgekauter Einheitsbrei

Sie nutzen alle erdenklichen Kanäle, um den vorgekauten Einheitsbrei, der sich auch vorherrschende Meinung nennt, zu verbreiten und mit Fleisch und Blut zu verteidigen. Damit machen sie es Max Mustermann natürlich leicht. Der muss sich seine Meinung nicht mehr mühselig selbst zusammenbrauen, sondern kriegt auf Wunsch nicht nur das Rezept, sondern gleich den ganzen Trog nach Hause geliefert – bereits am nächsten Tag! Jetzt Prime-Mitgliedschaft kostenlos testen! Er muss sich nicht mehr in die höchst unangenehme Situation begeben, Informationen zu verarbeiten oder Recherche zu betreiben.

In seiner Filter-Bubble lebt er glücklich und froh, so wie der Mops im Haferstroh. Frei Haus und auf dem Silbertablett gibt es dort in kleinen Häppchen Beiträge, die auf seinen vom Algorithmus berechneten Vorlieben beruhen. Semantisch wird alles zusammengesucht, was den Interessen von Max entspricht, damit er es nur noch konsumieren muss. Würde Max den Wunsch verspüren, auch einmal „outside the box“ zu denken, müsste er sich schon dazu bequemen, sich selbstständig zu gewissen Themen zu informieren. Auf Seiten, von denen er typischerweise nicht seine Informationen bezieht. Aber das ist Max zu anstrengend.

Es gibt nichts, das es nicht gibt

In den Ratgeber-Abteilungen der Bibliotheken tummeln sich die Meisterwerke der selbst ernannten Meinungslenker. Bei dem ein oder anderen Autor könnte es sich allerdings um eine der armen Seelen handeln, die das allgemeine Rudelleiden um sich herum nicht mehr einfach hinnehmen konnten. Sie erheben sich dann aus ihrer einstmaligen Schäfchen-Position zum gnädigen Hirten, der den anderen dummen Herdenmitgliedern zeigt, wo’s am besten langgeht! Wo die grünsten Auen sind, wie sie ihre Lämmchen erziehen sollen. Es gibt sogar Ratgeber darüber, wie man es schafft, mit der größtmöglichen Portion Gleichgültigkeit durch die Welt zu gehen – „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“ nennt man so etwas dann. Das ist frech, das ist hipp, das ist Anti-Mainstream-Mainstream. Das kaufen und konsumieren wir! Es gibt sogar einen Ratgeber darüber, wie man am besten einen Ratgeber schreibt. Also quasi eine Ratgeberception. Warum das alles?

Weil wir nicht einmal mehr wissen, wie wir uns zu fühlen haben. Mütter haben Scheu, ihre Säuglinge zu berühren, aus Angst, etwas kaputt zu machen und müssen daher in Baby-Berührungs- und Massage-Kurse. Jeder, der nicht weiß, wie er seinen Alltag, sein Berufs- oder Liebesleben, seine Gedanken führen soll, kann sich heute genau den passenden Ratgeber-Schinken dazu liefern lassen – bereits am nächsten Tag! Jetzt Prime-Mitgliedschaft kostenlos testen! Aber kann das überhaupt funktionieren? Findet wahre Änderung oder Besserung – was man sich eben von so einer Anleitung erhofft – nicht auf einer Ebene statt, die nicht über den Verstand, die Ratio aufgenommen werden kann? Bringt es also etwas, diese Bücher zu lesen?

Ja und Nein

Es ist ganz einfach: besteht der echte innere Wunsch nach Veränderung oder Verbesserung, kann die Gebrauchsanweisung tatsächlich wichtige Anstöße liefern, um das bereits beschlossene Umzusetzen. Wer halbherzig an die Sache herangeht, sich der Anpassungsfähigkeit wegen ändern will oder nur um sein Leben etwas leichter zu machen, der wird das Gelesene genau dort lassen, wo er es aufgefunden hat: zwischen den Buchdeckeln. Oder im E-Book-Reader. Vielleicht geistern ihm in den katerähnlichen Tagen nach höchsten Konsumanstrengungen noch einige Sätze im Kopf herum. Doch dort nutzen sie herzlich wenig. Wir erwarten Happiness To Go, wo auch immer wir hingehen und Instant-Befriedigung per Mausklick. Doch das kann nicht klappen, denn das alles hat nur dann einen Nutzen, wenn im Herzen etwas hängen bleibt. Wer also statt auf teils diktatorische Hirten lieber in sich hinein und dabei auf sein Herz hört, der macht jeden Ratgeber der Welt überflüssig.

Bild: unsplash @Josh Felise

 

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Über den Autor/die Autorin

Joey

Das Leben ist kein Wunschponyschlecken. :)

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