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Was würde wohl Adolf Knigge zum heutigen „Knigge“ sagen?

Kinder das sich einen Haufen Nudeln ins Gesicht schiebt zum Thema Knigge, mehr Schein als Sein?
Geschrieben von Ahrina Timido

Gerade sind die großen Familientreffen zu Weihnachten überstanden. Und wahrscheinlich erinnern sich die meisten an Situationen,  die sie lieber sofort aus ihrem Gedächtnis löschen würden:

Der betrunkene Opa, der lautstark populistische Stammtischparolen von sich gibt und die gute alte Zeit betrauert,

die Tante, die theatralisch bei Tisch ihre letzte Darmspiegelung schildert,

die halbwüchsigen Kinder am Nebentisch, die das Restaurant mit einem Bolzplatz verwechseln,

die jungen Erwachsenen, die neben den Tellern mit Festtagsbraten ihre dauerklingelnden und -surrenden Smartphones auf dem Tisch trappieren,

der rülpsende Onkel beim gemeinsamen Weihnachtsessen,    …

Manch einer denkt in solchen Momenten an den guten alten Knigge. Zu recht?

  1. Wer genau war Knigge eigentlich?
  2. Was beschrieb dieser in seinem Hauptwerk „Über den Umgang mit Menschen“?
  3. Wie wurde sein Werk zum „Benimm-Ratgeber“?
  4. Wie sieht der „Knigge“ heute aus?
  5. Fazit: Was würde wohl Adolf Knigge zur heutigen Interpretation seines Werkes sagen?

1. Wer war Knigge?

Adolf Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge wurde 1752 in Bredenbeck bei Hannover geboren. Das Rittergut Bredenbeck, auf dem Adolf Knigge geboren wurde, befindet sich bereits seit Anfang des 14. Jahrhunderts im Besitz der Familie. Adolfs Vater ist promovierter Jurist und Hofgerichtsrat, kurfürstlich Hannoverscher Oberhauptmann und als Besitzer der Rittergüter Bredenbeck und Pattensen Mitgleid der Calenbergischen Ritterschaft. Als A.K. 10 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter, durch die er bis dahin eine liebevolle und zärtliche Erziehung genoss. Der Vater, der begeistert der Freimauerei anhing, kümmerte sich nicht viel um die Erziehung seines Sohnes und gab ihn knapp zwei Jahre später in das Erziehungsinstitut des hannoverschen Kammersekretärs Augspurg. Weitere zwei Jahre später, Knigge war gerade 14 Jahre alt, starb auch der Vater. Dennoch prägte der zugleich fortschrittliche und dennoch stark in der barocken Prachtentfaltung verhaftete Vater das spätere Leben Adolf Knigges.

1769 immatrikulierte A.K. sich an der Universität Göttingen, um Rechtswissenschaften zu studieren und bereits 1771 gelang es ihm, mit Hilfe verwandtschaftlicher Beziehungen, eine bezahlte und standesgemäße Stelle als Hofjunker und kurze Zeit später als Assessor der Kriegs- und Domänenkammer zu erlangen. Zum erfolgreichen Abschluss des Studiums erhielt Knigge ein Jahr Urlaub, in dem er sich vor allem wissenschaftlichen Themen widmete. 1773 heiratete Knigge seine Frau Henriette von Baumbach, mit der er eine Tochter hatte, um deren Erziehung er sich selbst liebevoll kümmerte..

Da A.K. sehr unter den Intrigen am Hofe litt, verließ er 1778 seine Stellung und widmete sich dem Schreiben. Im selben Jahr veröffentlichte er sein erstes Werk, dem zahlreiche Weitere folgten.

Der „Knigge“, den wir bis heute kennen, erschien in seiner ersten Auflage 1788 unter dem Titel „Über den Umgang mit Menschen“ und war ursprünglich als Aufklärungsschrift für Taktgefühl und Höflichkeit gedacht.

2. Was beschrieb Knigge in seinem Werk „Über den Umgang mit Menschen“?

Das Buch war ursprünglich vorrangig als Hilfe für bürgerliche Angestellte bei Hofe gedacht und daher eher als Fachbuch aus dem Bereich der Soziologie angelegt. Knigge beabsichtigte, die Menschen darüber aufzuklären, dass sich Umgangsformen und Regeln der Höflichkeit innerhalb soziologischer Gruppen voneinander unterschieden. Er teilte sein Buch in drei Kapitel auf. Der erste Teil kann als Einführung betrachtet werden und umfasst die Kapitel „Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen“, „Über den Umgang mit sich selbst“ sowie „mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens“.

Der zweite Teil  widmete er sich in mehreren Kapiteln dem angemessenen Umgang mit den verschiedenen Altersgruppen innerhalb der Gesellschaft. Desweiteren  befasst sich mit dem höflichen Umgang mit einzelnen Berufsgruppen, zum Beispiel mit Ärzten oder Geistlichen.

Auch über den Umgang mit verschiedenen charakterlichen Eigenschaften seines Gegenübers machte sich K. Gedanken und beschrieb ausführlich zum Beispiel den Umgang mit Verliebten, Jähzornigen oder Schurken. Der dritte und letzte Teil befasst sich mit Anmerkungen „über die Art, mit Tieren umzugehen“ und „über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser“.

Der Nachfahre Moritz Freiherr Knigge gab im Jahre 2004 eine moderne Fassung des bekanntesten Werkes unter dem Titel Spielregeln. Wie wir miteinander umgehen sollten heraus. Der Persephone Verlag veröffentlichte 2017 eine Version des Werkes, die der Verlag als „Übersetzung in modernes Deutsch“ bezeichnet und eine sprachlich modernisierte Version des Originals darstellt.

3. Wie entstand der „Benimmratgeber“?

Angefangen hat dieser Irrtum wohl bereits kurz nach Knigges Tod, als der Verlag das ursprüngliche Werk um Benimmregeln erweiterte. Des weiteren erschien alle zehn Jahre eine neue Auflage mit aktualisierten Regeln, vor allem Kleiderregeln. Wirklich gelesen hatten das Werk wohl die wenigsten, aber dass bestimmte (Kleider-)regeln im „Knigge“ standen, das sprach sich weit herum. Dadurch verschob sich der Schwerpunkt vom ursprünglichen Bereich der angewandten Soziologie immer weiter in Richtung Benimmregeln. Neuere Auflagen des „Knigge“ befassen sich unter anderem mit Themen, die der ursprüngliche Autor des Werkes überhaupt nicht erwähnt hatte, zum Beispiel, wie eine festliche Tafel „richtig“ einzudecken sei.

4. Wie sieht der „Knigge“ heute aus?

Seien wir doch mal ehrlich, wir alle haben schon vom „Knigge“ gehört, wir alle kennen ihn als Benimmratgeber. Aber wer weiß schon was wirklich drin steht?

Die offizielle Knigge Homepage befasst sich aktuell mit folgenden Themenbereichen:

  • Bei Tisch: Tischsitten, Die Tischordnung, Das Eindecken, Die Tischmanieren, Schalentiere, Schwierige Speisen, Abservieren,
  • Kommunikation: „Du“ oder „Sie“, Privat, Die Vorzüge des „Sie“, Vorstellung und Bekanntmachen,
  • Gesellschaft: Gesundheit, Schnäuzen, Nasebohren, etc., Das WC und Blähungen, Mundgeruch und Schweiß, Der Restaurantbesuch,
  • Kleidung: Allgemeines, Dresscode Einmaleins, Der Frack, Der Smoking, der Cutaway, Der Stresemann, Anzug, Hemden,
  • Festliche Anlässe: Die Einladung, Placement, Small Talk, Auswahl der Getränke, Auswahl der Speisen, Reden während des Menüs,
  • Geschäftsleben: Business Knigge – China Business Knigge – Japan Business Knigge – Brasilien, „Du“ oder „Sie“,
  • Knigge für Kinder: Benehmen und Manieren schon von klein auf, Kinder im Wandel der Zeit,
  • Verschiedenes: Sauna-Knigge, Fahrstuhl-Knigge, Handy-Knigge, Flugzeug-Knigge
  • Hochzeit: „Ja, ich will“, Trauung in Standesamt und Kirche, Hochzeitsplanungen, Hochzeitsmode

Einige dieser Bereiche spielten auch schon im ursprünglichen Werk A.Ks. eine große Rolle, andere sind völlig neu dazu gekommen. Die ursprüngliche Intention des Werkes wurde im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Nichts desto trotz macht es Sinn, gewisse allgemeingültige Anstandsregeln festzulegen und als gemeinsame Wertebasis einer Gesellschaft zugrunde zu legen. Nur so gibt es eine gewisse gesellschaftliche Handhabe, eingangs erwähnten Beispielen zu begegnen. Aber man kann auch alles übertreiben…

Dass für dieses Regelwerk der Name „Knigge“ missbraucht wird, ist wohl der Arbeit vieler Modernisierer und Überarbeiter eines einst anders gedachten Werkes zuzurechnen.

5. Fazit

So sieht der „Knigge“ heute also aus. Durch zahlreiche Modernisierungen und Neuauflagen vom ursprünglich wissenschaftlich-soziologischen Werk degradiert zum reinen „Benimm-Ratgeber“, der mehr Wert auf Schein als auf Sein legt und damit das Werk Adolf Knigges ad absurdum führt. A.K. würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, müsste er diese heutige Fassung seines Werkes lesen.

Über den Autor/die Autorin

Ahrina Timido

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