Studentenbeiträge

Kontrolle über Gedanken und Gefühle

Zwei gleiche Figürchen, die für Glück stehen
Geschrieben von Joey

Im Normalfall gehöre ich zu den „glücklichen“ Personen, die an den Ratgeber-Abteilungen der Bibliotheken einfach vorbeigehen kann, ohne danach ihr ganzes Leben in Frage zu stellen. Der ein oder andere Titel hat jedoch selbst auf mich eine verzaubernde, anziehende Wirkung. „Das Café am Ende der Welt“ war so einer. Auch wenn dieses kleine, unscheinbar wirkende Büchlein wohl ziemlich angepriesen wurde, hatte ich vor meinem Fund noch nichts davon gehört. Es stand einfach da und zog mich an. Nachdem ich den Klappentext überflogen hatte, war die Sache klar: Ich musste es einfach für meinen Freund kaufen. Manchmal passt ein Buch so sehr zu deiner momentanen Situation, dass du schon fast anfängst, an das Schicksal zu glauben!

So ging es mir einige Wochen später in meiner heißgeliebten Stadtbibliothek dann wieder. Ich schlenderte durch die Gänge, die in die verschiedenen Genres unterteilt sind und war ein wenig nostalgisch und melancholisch drauf. Ich fühlte mich irgendwie verloren; so als wäre ich auf der Suche nach irgendetwas, von dem ich allerdings nicht wusste, was es war. Als mir dann Alice von einem Filmplakat aus direkt in die Seele sprach, wusste ich mal wieder: Es war an der Zeit, etwas zu ändern. Nur was?

Right in the feels

Als ich aus meinem Tagtraum im Wunderland erwachte, fand ich mich in der Psychologie- beziehungsweise Selbsthilfe-Abteilung wieder. „Oh, the irony“, schoss es mir durch den Kopf. Dabei sprang mir das Buch „Wer dem Glück hinterher rennt, läuft daran vorbei“ von Russ Harris sofort ins Auge. Der Klappentext wird eingeleitet mit den Fett gedruckten Worten Ausstieg aus der Glücksfalle. Mein Interesse war geweckt. Auch die restliche Beschreibung ließ mein Herz ein wenig höher schlagen:

Kann das sein? Dass unsere Vorstellungen über das Glück uns unglücklich machen?

Je stärker wir versuchen, schmerzhafte Gedanken und Gefühle zu verdrängen oder mit positiven zu ersetzen, umso mehr leiden wir. Dieses spannende Umdenkbuch beruht auf einem bahnbrechenden Ansatz in der Psychologie: der Akzeptanz und Commitmenttherapie (ACT). Die in kürzester Zeit erlernbaren Techniken haben ihre Wirksamkeit in vielen wissenschaftlichen Studien bewiesen.

Die Folge: Sorgen und Stress müssen nicht mehr angestrengt bekämpft werden. Selbst wenn uns Schwierigkeiten begegnen, können wir ein tief erfülltes Leben führen.

Konstantin Wecker sagt über das Buch:

„Das Buch liegt bei mir am Nachttisch und ich befolge fleißig die Übungsanleitungen. Es ist klug, zugleich leichtfüßig und amüsant und bestimmt eine große Hilfe für viele Menschen. Ach was – für alle eigentlich.“

Genau, was ich gebraucht habe!

Eine Definition von Schicksal lautet: Schicksal ist es, wenn du etwas findest, von dem du nicht einmal wusstest, dass du es gesucht hast. Oder wie meine Psychologin es letztens so schön ausgedrückt hat: Oft bekommt man nicht das, was man sich wünscht; dafür aber das, was man braucht. Ich hatte und habe endlos viele Fragen an das Leben, allerdings keinen Schimmer, wo ich Antworten hernehmen sollte. Dieses Buch war ein erster Anhaltspunkt! Ich habe es gefunden, ohne danach gesucht zu haben und bin der festen Überzeugung, dass es genau das ist, was ich jetzt gerade brauche. Deswegen habe ich mich dazu entschlossen, euch häppchenweise an meinen Erlebnissen mit den Übungen und Lektionen teilhaben zu lassen. Denn auch ich bin der Meinung: der Austritt aus der Glücksfalle, die ich noch näher erläutern werde, könnte jedem zu einem sinnvolleren, reicheren Leben verhelfen! 🙂

Was ist Glück?

Glück definiert wahrscheinlich jeder ein bisschen anders – denn Glück ist auch für jeden etwas anderes. Fühlt sich der eine auf der Tanzfläche im Club super glücklich, kann das für eine andere Person ein eher unangenehmer Moment sein. Doch wir alle wissen mehr oder weniger, welche Momente, Dinge oder Personen uns Glück bescheren können. Daher versuchen wir uns, so oft wie möglich in genau diese Situationen zu begeben. Weil wir uns insgeheim wünschen, dass das Glück anhält. Wir wären am liebsten Regenbögen kotzende Glücksbärchis, denen es nie wieder schlecht geht. Dafür tun wir fast alles. Wir jagen panisch den Augenblicken hinterher, die uns glücklich machen oder es in ferner Vergangenheit einmal gemacht haben. Gaukeln uns und unseren Freunden auf Facebook die heile Welt vor. Wir versuchen unsere Bewusstseinszustände mit Hilfe von Drogen – legal oder nicht legal spielt dabei keine Rolle – hoch zu treiben. An Spontanität und Flexibilität mangelt es uns nicht. Wir sind allzeit bereit für ein Abenteuer – aus Angst, etwas vom Glück verpassen zu können. Am liebsten würden wir es festhalten und nie mehr loslassen, dieses Glück! Und genau das ist der Fehler.

Glück ist vergänglich

Glück muss sogar vergänglich sein. Das ist eigentlich ganz logisch. Stell dir doch nur einmal vor, keinem von uns wäre es jemals schlecht gegangen. Niemand hätte jemals Trauer, Angst, Verzweiflung gespürt. Könnten wir dann überhaupt wissen, wie sich Glücklich-Sein anfühlt? Könnten wir das Glück dann überhaupt schätzen? Wenn es einfach der durchgehende Normalzustand wäre, würden wir uns dann aus der Monotonie heraus nicht etwas noch Extremeres suchen, das wir anstreben könnten? Aber das sind alles Gedanken philosophischer Natur. Fakt ist, dass diese Art Glück kein Dauerzustand ist und wir es auch nicht dazu machen können. Je mehr wir daran festhalten oder versuchen, es zu kontrollieren, desto mehr entgleitet es uns.

Eine andere, universellere Art des Glücks ist das Streben nach einem erfüllten, sinnvollen, reichen Leben. Das bedeutet im Grunde nichts weiter, als dass wir uns klar machen, welche Dinge uns persönlich am wichtigsten sind – ungeachtet der äußeren Einflüsse wie Freunde, Familie, die Gesellschaft. Haben wir unsere eigenen, ganz individuellen Werte gebildet, uns mit ihnen verbunden und es außerdem geschafft, danach zu handeln, werden wir ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Aber auch ein erfülltes Leben kommt nicht ohne Leid aus. Bestimmte Situationen oder Ereignisse lösen unweigerlich negative Gefühle aus, mit denen wir durch die Selbsterfüllung allerdings besser umgehen können. Aber auch hier ist Vorsicht angesagt, denn auch bei dieser Definition spielt eines eine große Rolle:

Kontrolle

Dadurch, dass unser Verstand uns vorgaukelt, immer glücklich und zufrieden sein zu müssen, versuchen wir, unser Gefühlsleben mit unseren Gedanken zu kontrollieren. Negative Gefühle dürfen nicht sein, dürfen am besten gar nicht erst entstehen. Kommt doch mal schlechte Stimmung auf, versuchen wir sie meistens durch etwas Positives zu ersetzen. Sei das eine Situation oder ein Gedanke. Doch wie kommen wir überhaupt auf diese Annahmen? Um dies zu verstehen, zeigt uns Russ Harris vier Märchen auf, die uns vorgegaukelt werden und nach denen wir leben:

Märchen 1: Glück ist der natürliche Zustand für alle Menschen

Die Kultur und Gesellschaft, in der wir leben, vermitteln uns den Eindruck, dass der Mensch von Natur aus einfach glücklich ist. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Das zeigt uns, wie so oft, die Statistik. Heutzutage unternimmt jeder 10. Erwachsene in seinem Leben einmal einen Selbstmordversuch und jeder fünfte leidet in seinem Leben an Depressionen. In Deutschland leiden, laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO), heute etwa 4,1 Millionen Menschen an Depressionen, das entspricht 5,2 Prozent der Bevölkerung. Abgesehen davon haben auch nicht nur psychisch Kranke ihre Alltagsprobleme, die ihnen Sorgen bereiten. Doch das scheinen wir nicht sehen zu wollen. Denn ein weiterer Grund, warum sich Märchen Nummer 1 so gut hält, ist, dass wir dauerhaft davon überzeugt sind, dass alle anderen glücklicher seien als wir selbst. Das ist in Zeiten der übertriebenen Selbstdarstellung und Verherrlichung des eigenen Lebens auf Facebook, Instagram und Co. auch kein Wunder. Diese Überzeugung macht allerdings – wer hätt’s gedacht – noch unglücklicher.

Märchen 2: Wenn du nicht glücklich bist, ist etwas mit dir nicht in Ordnung

Das Problem dabei ist ganz einfach, dass (negative) Gefühle als Schwäche angesehen werden. Weil wir so sehr an Märchen 1 festhalten, ist die logische Schlussfolgerung daraus, dass negative Gefühle automatisch bedeuten, dass etwas nicht stimmt bei dir / dass du in irgendeiner Weise fehlerhaft bist. Das wird besonders deutlich daran, dass viele psychisch Kranke nach wie vor nicht offen über ihre Krankheit reden können, aus Angst, verurteilt und danach in Watte gepackt zu werden. Ist es aber nicht genau umgekehrt? Sind nicht die Depressiven und Co. eher die Stärkeren, weil sie sich tagtäglich mutig ihren tiefsten Ängsten stellen (müssen)? Erfordert es nicht besondere Stärke, zu seinen (negativen) Gefühlen zu stehen und sie sich selbst einzugestehen – psychisch krank oder nicht? Das nächste Märchen lässt zunächst das Gegenteil vermuten…

Märchen 3: Um ein besseres Leben zu schaffen, müssen wir unsere negativen Gefühle loswerden

Hierbei spielt das Stichwort Wohlfühlgesellschaft eine wichtige Rolle. Der Generation Y wird gerne nachgesagt, sie sei nicht besonders widerstandsfähig, könne nichts mehr aushalten. In gewisser Weise stimmt das sogar. Nur dass es weniger am Können als viel mehr am Wollen liegt. Wir wollen keine negativen Gefühle oder Gedanken. Wir wollen uns immerzu gut fühlen. In Beziehungen tritt dieses Phänomen besonders häufig auf. Wir meiden feste Bindungen, weil sie (logischerweise) das Risiko bergen, uns zuweilen zu verletzen. Aber dieses Risiko liegt in allem, was uns etwas bedeutet. Gewisse Ängste können hier sogar Indikatoren dafür sein, was uns von Herzen wichtig ist. Wenn uns etwas wirklich viel bedeutet, hat es immer die Macht, positive sowie negative Gefühle in uns auszulösen. Aber so schön die positiven sind, so verletzend sind auch die negativen – manchmal müssen wir sie allerdings einfach in Kauf nehmen.

Märchen 4: Du solltest in der Lage sein, deine Gedanken und Gefühle zu kontrollieren

Das ist in der heutigen Welt schon fast zur Philosophie geworden, wenn man einmal genau darüber nachdenkt. Überall stolpert man über „Don’t worry, be happy“-Ratgeber in allen möglichen Formen, vollgestopft mit Munter-Mach-Mantras, die sich wie ein omnipräsentes Raunen durch die Gesellschaft ziehen. Doch niemand ist in der Lage, seine Gedanken oder Gefühle tatsächlich zu kontrollieren.

Über den Autor/die Autorin

Joey

Das Leben ist kein Wunschponyschlecken. :)

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