Studentenalltag

Wir werden alle sterben, aber nicht an Corona!

Sanduhr mit blauem Sand im Holzgestell auf Steinen - Infos zum Corona-Virus: Sterben werden wir alle, aber nicht an Corona.
Geschrieben von Bienchen

An dieser Stelle müsste nun ein Aufmacher stehen. So etwas wie „Wieder neue Corona-Fälle in Deutschland – werden wir alle sterben?“. Als Journalist lernt man so die Aufmerksamkeit der Leser auf den Artikel zu ziehen. Die Menschen so mit den ersten Zeilen zu überreden ihre Zeit genau mit deinem niedergeschriebenen Buchstabenerbrochenem zu verschwenden. Mein Aufmacher, insofern du diesen Artikel bis zu dieser Stelle gelesen haben solltest, ist:

„Wir werden alle sterben, aber nicht an Corona!“

Und wer wie ich den Begriff Coronavirus nicht mehr hören und sehen kann…es gibt inzwischen schon heiße Spitznamen wie Kong Flu, die alternativ eingesetzt werden können. Aber zuerst ein paar nüchterne Fakten im Überblick.

Zum jetzigen Zeitpunkt (5.3.2020, 8.00 Uhr) sind laut Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) weltweit 95.000 und in Deutschland 350 Menschen mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) infiziert. Die meisten Fälle finden sich nach wie vor in China (etwa 45.000), wobei die Zahl der Neuinfektionen vor Ort dank weitläufigen Quarantänemaßnahmen glücklicherweise rückläufig sind. Insgesamt sind dem Coronavirus weltweit bereits 3.300 Menschen erlegen, auch hier die Mehrheit in China.

So weit, so dramatisch. Ist nun Panik angesagt? Schauen wir uns doch erst mal an, womit wir es aus biologischer Sicht, abseits der Statistiken, zu tun haben. Darf ich vorstellen:

Der Protagonist SARS-CoV-2

SARS-CoV-2 gehört zur Familie der Coronaviridae und ist Auslöser der neuartigen COVID-19. Coronaviren sind genetisch hochvariabel und sind in der Lage Artenbarrieren zu durchbrechen und so mehrere Wirtsspezies zu infizieren. Zu dieser Familie zählen auch der SARS-assozierte Coronavirus (SARS-CoV), der 2002/03 eine Pandemie auslöste und der Middle East Respiratory Syndrom Coronavirus (MERS-CoV), der 2012 die Welt in Aufregung versetze. Stand 2020 gibt es sieben humanpathogene Coronaviren, wobei vier nur zu leichten Beschwerden führen. Die übrigen drei oben genannten können dem Menschen im schlimmsten Fall sehr gefährlich werden.

Coronaviren verdanken ihren Namen der Sonnen-Korona, der Sonnenatmosphäre, denn im Elektronenmikroskop ähnelt die äußere Schutzhülle der Viren eben diesem Phänomen. Aber dies nur als unnötiges Wissen am Rande.

Bisher ist sich die Wissenschaftswelt nicht einig, von welchen Tieren das Virus auf uns Menschen übergesprungen sein könnte. Im Verdacht stehen einige Reptilien wie die chinesische Kobra oder der vielgebänderte Krait, aber auch Fledermäuse oder Schuppentiere werden als heiße Kandidaten in diesem Zusammenhang geführt. Das malaiische Schuppentier gilt insofern als wahrscheinlicher Überträger, als das es in China häufig illegal gehalten und gehandelt wird und zum anderen bei diesen Tieren Coronaviren gefunden wurden, die eine hohe genetische Übereinstimmung zum SARS-CoV-2 aufweisen.

Nun zum wirklich interessanten Teil. Coronaviren besitzen ein S-Protein, das für die Bindung an die Wirstszelle zuständig ist. Hierbei ähnelt die Sequenz unseres Protagonisten sehr stark derer von SARS-CoV. Deshalb geht man davon aus, dass auch SARS-CoV-2 denselben Weg nutzt, um den Menschen zu infizieren. Das erwähnte S-Protein bindet an den Zellrezeptor ACE2 (Angiotensin konvertierendes Enzym 2). Diese Rezeptoren befinden sich in Herz, Lunge, Niere und dem Magen-Darm-Trakt und tragen unter normalen Umständen zur Regelung der Homöostase bei.

Demnach ist es nicht überraschend, dass das Virus im Sekret des Nasen- und Rachenraums, dem Sputum, dem Stuhl, aber auch der Tränenflüssigkeit und im Blut nachgewiesen werden konnte und auch entsprechende Symptome des COVID-19 von leichtem Umwohlsein und Halskratzen, über Schnupfen, Fieber und Durchfall, sowie Muskelschmerzen, bis hin zu Lungenentzündung und Nierenversagen reichen. An dieser Stelle sollte jedem auffallen, wie unspezifisch diese Symptome sind und wie schlecht man sie rein phänotypisch von anderen Erkrankungen unterscheiden kann.

Wieso breitet sich das Virus so schnell aus?

Das Problem aus humaner Sicht ist, dass infizierte Menschen ansteckend sind, bevor erste Symptome auftreten. Es gibt aber auch Menschen, die als Überträger dienen, jedoch keinerlei Krankheitszeichen aufweisen. Das ist natürlich suboptimal aus unserem Blickwinkel. Das Virus macht dagegen alles richtig. Und da ist Corona nicht allein.

Betrachtet man den Erreger Herpes zoster (Windpocken), so fällt auch hier auf wie geschickt Viren da vorgehen. Wären Erkrankte erst ansteckend, wenn die ersten Pusteln auftreten, hätte man Windpocken sicherlich schon ausgerottet. Irgendwann in der Menschheitsgeschichte wäre man sicher darauf gekommen, sich einfach von Menschen mit Pusteln fernzuhalten und zack: eine Kinderkrankheit weniger. Leider sind Viren in ihrer Verbreitung Erfinder des trojanischen Pferdes und nutzen so unsere menschlichen Schwächen. Soziale Interaktion. Alle introvertierten Sofakartoffeln hört man an dieser Stelle aufatmen. Tatsächlich ist eine effektive Vorsichtsmaßnahme, sich einfach von anderen Menschen fern zu halten so gut es eben geht.

Nun zurück zu den Zahlen.

Statistiken über Statistiken zum Corona-Virus

Nach Auswertung der ersten 425 Fälle in Wuhan liegt die Basisreproduktionszahl des SARS-CoV-2 bei 2,2. Das bedeutet, dass jeder Infizierte im Durchschnitt 2,2 weitere Menschen mit dem Virus ansteckt. Nach Hochrechnungen von Wissenschaftlern in Deutschland und Schweden liegt die Basisreproduktionszahl im Mittel bei 3,28. Der Wert der SARS-Pandemie 2002 lag irgendwo zwischen 2 und 5.

Eine von der WHO zitierte Studie schätzt eine Sterblichkeitsrate von 0,4-2,6 Prozent, wobei der wahrscheinlichste Wert etwa bei 0,94 % liege. In Wuhan verstarben zwischen 2 und 4 % der infizierten Personen, in anderen Regionen Chinas 0,7 %.

Nun sind das erst Mal nur Zahlen. Jeder, der selbst schon mal eine Statistik erstellt hat, wird mir an dieser Stelle zustimmen, dass es für die Verlässlichkeit einer Studie nicht nur auf den Stichprobenumfang ankommt, sondern auch auf die Tatsache, wie und wo man die Stichprobe nimmt.

Ein Beispiel
Man nehme zwei Blumenbeete. In einem pflanze man nur rote Blumen, im zweiten genau eine rote und vier blaue Blumen. Nun hüpft man im zweiten Blumenbeet rum und schaut sich an wie viele der Blumen kaputt gegangen sind. Betrachtet man nun nur das Blumenbeet 2, wird man sagen können, dass statistisch gesehen mehr blaue Blumen kaputt gegangen sind als rote, selbst wenn zwei blaue Blumen überlebt haben.

Wie weit man dieses Experiment verändern und ausbauen kann, wenn man jetzt die absolute und relative Häufigkeit hinzuzieht, beachtet wo im Beet die Blumen gepflanzt waren oder, ob man das andere Blumenbeet zur Auswertung dazu nimmt, muss ich an dieser Stelle nicht erwähnen und ich denke es wird deutlich wie wichtig die Parameter in der Versuchsdurchführung und Auswertung hinsichtlich der Bewertung einer Statistik sind.

Schauen wir uns eine Studie an mit der in der Öffentlichkeit gerne Angst geschürt wird. In einem Krankenhaus in China wurden 138 mit Corona infizierte Patienten zu dieser Studie herangezogen. Am Ende der Studie war ein Großteil der Patienten noch im Krankenhaus, das heißt man weiß nicht, ob sie heute noch leben oder verstorben sind. Allerdings wurde besorgt veröffentlicht, dass 4,3 % der Patienten vor Ende der Studie verstarben. Dabei wird jedoch gerne verschwiegen, dass das Alter im Median über 66 Jahre lag, 17 der am Coronavirus erkrankten bereits aufgrund einer Vorerkrankung stationär im Krankenhaus waren und ein anderer Teil dem medizinischen Personal des Hauses angehörte. Nun will ich gar nicht die Studie an sich anzweifeln, nur ihre Übertragbarkeit auf den Rest der Weltbevölkerung.

Allerdings scheinen vom CCDC veröffentliche Zahlen auf ähnliche Muster hinzudeuten. Von 44.415 Coronafällen hätten 81 % einen leichten, 14 % einen schweren und 5 % einen kritischen Verlauf genommen.

Darf man nun in Panik geraten?

Die Frage, die sich einem vernünftig denkenden Menschen stellen sollte, ist, inwiefern diese Zahlen auf Deutschland übertragbar sind. Man darf nicht vergessen, dass die Epizentren der „Seuche“ in China in den Ballungsgebieten liegen und sich Menschen hier aufgrund des Platzmangels quasi stapeln. Außerdem sollte man bei allen Statistiken beachten, dass hier nur Fälle miteinbezogen wurden, in denen das Virus seine „spezifischen“ Symptome zeigt und nachgewiesen wurde. Das heißt, dass es vermutlich eine enorme Dunkelziffer an Infizierten gibt, die die Statistiken abschwächen würden.

Zusätzlich und als wichtiger Punkt kommt hinzu, dass Asiaten laut einer Studie(1) mehr von den oben erwähnten ACE2-Rezeptoren besitzen und somit anfälliger für das Virus sein könnten. Aus den in China erhobenen Zahlen lässt sich demnach vermutlich nicht auf den Verlauf in Deutschland schließen.

Aber jetzt Panik?

Bevor wir endgültig in Panik geraten, möchte ich euch noch andere Zahlen nennen. Dieses beziehen sich auf die Influenzaviren, also die Auslöser der Grippe. In den ersten 9 Wochen dieses Jahres melden entsprechende Stellen allein in Deutschland 18.862 Influenzafälle. In der gesamten Grippesaison waren es seit Oktober 2019 119.280 labordiagnostisch bestätigte Influenzakranke. Rund 17 % der Infizierten erkrankten so schwer, dass sie zur Behandlung ins Krankenhaus mussten. Diese Saison sind laut RKI 200 Menschen in Folge einer Influenzainfektion gestorben. In der Wintersaison 2012/13 gab es in diesem Zusammenhang vermutlich mehrere Zehntausend Todesfälle. Geraten wir deswegen in Panik? Wieso gibt es deswegen keine Hamsterkäufe?

Etwa 0,2 % aller Infizierten sterben an Influenza. Bei SARA-CoV-2 sind es etwa 2 %. Die Letalität ist also erschreckend höher. Hier sitzt der Panikknopf! Dennoch ist derzeit statistisch gesehen das Risiko höher an der gewöhnlichen Grippe zu sterben, als am Coronavirus. Auch wenn Corona derzeit in aller Munde ist, besteht für einen durchschnittlichen gesunden Menschen kein Grund nervös zu werden. Die Risikogruppen beschränken sich auf Menschen über 60, mit Vorerkrankung besonders der Atemwege, und Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Diese Menschen gilt es zu schützen.

Vorsichtsmaßnahmen statt Panik

Und auch hier sollte man seinen Menschenverstand einschalten. Hände waschen mit Seife ist grundsätzlich eine gute Idee. Dem Gegenüber nicht mitten ins Gesicht zu niesen oder in die Armbeuge, anstatt in die Hand zu husten, gehört zur gesellschaftlichen Etikette, auch zu Zeiten vor Corona. Atemmasken und Schutzkleidung Erkrankten und medizinischem Personal zur Verfügung zu stellen und diese nicht durch panisches Aufkaufen zusätzlich zu gefährden, sollte eigentlich auch selbstverständlich sein. Und auch hier gilt, sollte man bereits krank sein, sollte man zum Eigenschutz und zum Schutz der Mitmenschen, auch wenn es einem als „guter Deutscher“ schwer fällt, einfach mal Zuhause bleiben.

Warum eigentlich Panik?

Angst ist eine Reaktion, die unser Überleben sichern soll. Eine gute Portion Angst führt in der Regel zu durchdachten Entscheidungen und Vorsichtsmaßnahmen.

Unüberlegte, irrationale Angst führt zu Panik. Menschen bekommen Angst, wenn sie etwas nicht verstehen. Wenn jetzt etwas neu, unerforscht und potentiell tödlich ist, dann ist ungesunde Angst vorprogrammiert, die durch das gekonnte Aufbauschen der Medien und der Unwissenheit der breiten Masse schnell zu einer Welle an fast panischen Hamsterkäufen werden kann. Wie sich das Sozialverhalten und die Massendynamik zu Zeiten von Corona entwickeln, ist selbst für mich als Biologin fast interessanter zu beobachten, als das Virus selbst.

Trotzdem muss man hier ganz klar sagen: Grund zur Vorsicht ist gegeben. Wir kennen das Virus nicht, wir können es nicht genau einschätzen und bisherige Statistiken sind nicht so aussagekräftig wie wir es gerne hätten. Es ist derzeit fast unmöglich zu sagen wie gefährlich das Virus wirklich ist, denn die Beurteilung einer Krankheit bedarf dreier Parameter:

  • Die Fallsterblichkeit,
  • die Ausbreitungsgeschwindigkeit und
  • die Dauer einer möglichen Pandemie/Epidemie.

Wir tappen weitestgehend im Dunkeln, da ist es nur logisch Angst zu bekommen. Ich rate dennoch dazu die mächtigste Waffe des Menschen im Kampf gegen den unsichtbaren Feind zu nutzen. Das Hirn. Lest euch schlau, glaubt nicht alles, was ihr auf unseriösen Seiten erzählt bekommt und benutzt im Zweifel euren Menschenverstand. Das RKI und die WHO geben ständig neue Updates bezüglich der Corona-Lage und helfen euch mit ihrer fachlichen Kompetenz das Risiko einzuschätzen. Nutzt die Quellen (siehe unten) und ihr werdet sehen, wir werden alle sterben, aber nicht am Coronavirus!

Quellen
  • Robert Koch Institut
  • WHO
  • (1)The novel coronavirus 2019 (2019-nCoV) uses the SARS-coronavirus receptor ACE2 and the cellular protease TMPRSS2 for entry into target cells

https://studiblog.net/2018/08/12/virologie-studium-definition/

Über den Autor/die Autorin

Bienchen

Eine Seele mit Hirn auf der Suche nach dem großen Ganzen und dem Sinn hinter scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten.

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